Ein Gastbeitrag von Fynn Henningsen

Unter Reiho versteht man die Etikette im Budo, den japanischen Kampfkünsten. Diese Etikette legt Verhaltensweisen fest, um den respektvollen Umgang der Übenden untereinander, aber auch vor dem Übungsraum selbst, zu regeln.
Dabei gibt es unterschiedliche Stationen im Rahmen eines Trainings, die man kennenlernt. Die erste Station beginnt dabei schon zuhause. Denn zuhause sorgt man dafür, dass die eigene Kleidung gepflegt wird, sprich: ob man seine Kleidung wäscht und vernünftig zusammenlegt. Gerade bei Budoarten, bei denen man einen Hakama trägt, tut man sich selbst einen Gefallen, wenn man seinen Hakama immer ordentlich zusammenlegt, da so die Falten länger erhalten bleiben.
In der Umkleidekabine offenbart sich also schon mit dem Öffnen der Tasche und dem Herausholen der Kleidung, ob man seine Kleidung pflegt und wie die innere Einstellung zum Budo ist.

Die nächste Station ist das Betreten des Übungsraums. Dieser kann ganz unterschiedlich aussehen; manche Vereine haben ein eigenes Dojo, welches nach japanischem Vorbild eingerichtet ist. Andere Vereine nutzen Sporthallen von Schulen. Davon unabhängig verneigt man sich beim Betreten des Übungsraumes in Richtung Shomen (in der Regel gegenüber der Eingangstür). Am Shomen befindet sich in traditionellen Dojos ein Kamidana (ein Schrein zur Ehrung der Shinto-Götter und Ahnen oder Begründer der Schule). Nachdem man das Dojo betreten hat, legt man sein japanisches Schwert korrekt hin. Dabei sollte man darauf achten, dass die Schneide nach außen, also zur Wand, zeigt und der Griff Richtung Shomen gerichtet ist, da es als unhöflich gilt die Schwertspitze auf die Götter zu richten.
Nun kann man sich fragen, warum das für uns im modernen Westen wichtig sein soll, da man selbst nicht an diese Götter glaubt? Es ist Teil der japanischen Kultur, an der man dadurch teilnimmt, weshalb man sich dieser gegenüber respektvoll verhalten sollte.

Als nächstes stellt man sich in einer Reihe auf, dreht sich Richtung Shomen und verneigt sich. Dann kniet man und führt eine kurze Meditationsübung aus, um sich in den passenden mentalen Zustand für das Training zu versetzen. Anschließend wird Hajime no Torei,¹ also die erste Verneigung zum Schwert, ausgeführt. Auch hier gibt es unterschiedliche Bezeichnungen und Ausführungen, die sich von Schule zu Schule unterscheiden. Anschließend folgen Aufwärmübungen wie Suburi oder Kihon (Grundübungen) und das anschließende Training.

Nach dem Training folgen das Owari no torei² (die Endverneigung zum Schwert), ein erneutes Verneigen zum Shomen und vor dem Trainer und den Mittrainierenden.
Man packt sein Schwert wieder ein, verneigt sich erneut Richtung Shomen beim Verlassen des Übungsraumes und zieht sich wieder um.

All dies gehört zum Ablauf des Trainings. Doch warum macht man das alles überhaupt? Es geht um Demut, Respekt und Dankbarkeit. Denn Reiho ist mehr als nur ein bloßes Regelwerk, das man befolgen soll. Daher sollte man das Reiho nicht auf die äußere Form reduzieren, da es Ausdruck innerer Empfindung sein kann.

Mit Reiho drückt man seine Empfindung und Einstellung aus.

Hierzu schreibt Dr. Jörg M. Wolters (Promotion über das Thema „Kampfkunst als Therapie“), dass Reiho ein Ausdruck der inneren und äußeren Haltung des Budo und der Budo-Praktizierenden ist; es offenbart das rechte Verständnis des Weges und das Bemühen um Fortschritt.³ „Im traditionellen Budo sagt man, dass man an der Art, wie man sich verneigt, den wahren Meister erkennt, oder daran, wie die Schüler ihre Kleidung sortieren (z.B. ihre Schuhe ausrichten), erkennt, wie weit sie bereits im Budo gekommen sind…“⁴

Etikette ist Teil des Weges

Genauso wie sich die eigenen Fähigkeiten in der Kampfkunst entwickeln, so kann sich auch das Verständnis des Reiho entwickeln und verändern. Wenn man anfängt, kennt man ggf. den Ablauf und die einzelnen Stationen des Reiho noch nicht. Doch lernt man diese zunächst durch das Nachahmen. Es sind äußere Bewegungsformen, die für den Anfänger noch nicht mit Inhalt oder Empfindung gefüllt sind.⁵
Mit der Zeit jedoch lernt man die unterschiedlichen Bedeutungen kennen. Das Verbeugen beim Betreten und Verlassen des Übungsraumes macht man zunächst, weil andere das auch machen, doch später tut man dies womöglich aus Respekt vor der Kampfkunst selbst und aus Dankbarkeit, dass man dort trainieren kann und darf.
Ebenso verhält es sich mit der Verbeugung vor dem Lehrer. Man ist dankbar, dass der Lehrer sich einem annimmt. Hier im modernen Westen hält man das für selbstverständlich, man zahlt schließlich einen Vereinsbeitrag. Doch in Japan ist das alles andere als selbstverständlich. Dort geht man zum Training und wenn man einen konservativen Lehrer hat, spricht dieser zunächst kaum ein Wort mit einem. Man selbst will ja etwas vom Lehrer, nämlich Wissen und Unterweisung, weshalb man zunächst beweisen muss, dass man lernen möchte.

Die Mittrainierenden unterstützen einen auch beim Training. Man spricht mit Mittrainierenden über Verständnisprobleme etc., weshalb man sich vor den höhergraduierten Mittrainierenden ebenfalls verbeugt; man ist dankbar, dass sie ihr Wissen mit einem teilen.

Durch das Verständnis des Reiho und dem echt empfundenen Respekt erhält eine Verbeugung Ausdruck und Wirkung. Man würdigt sein Umfeld dadurch.


¹  Beck, Lothar; von der Gest, Angela; Jahns, Franz; van Mourik, Wim; Müller, Rudi; Ordynsky, Sylvia; Röder,Peter; Schubert, Henry (Hrsg.): Zen Niho Kendo Renmei Iai. Fünfte verbesserte Auflage, Norderstedt 2015 S.20
²  Beck, Lothar; von der Gest, Angela; Jahns, Franz; van Mourik, Wim; Müller, Rudi; Ordynsky, Sylvia; Röder,Peter; Schubert, Henry (Hrsg.): Zen Niho Kendo Renmei Iai. Fünfte verbesserte Auflage, Norderstedt 2015 S.23
³  Vgl. Jörg-M. Wolters, Über die Philosophie der Budo-Etikette, https://www.muromachi.de/informationen-zum-karate/budo/die-philosophie-des-budo/ abgerufen am 30.10.23
  ebd.
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Quellen

 – Beck, Lothar; von der Gest, Angela; Jahns, Franz; van Mourik, Wim; Müller, Rudi; Ordynsky, Sylvia; Röder, Peter; Schubert, Henry (Hrsg.): Zen Niho Kendo Renmei Iai. Fünfte verbesserte Auflage, Norderstedt 2015
 – Jörg-M. Wolters, Über die Philosophie der Budo-Etikette, https://www.muromachi.de/informationen-zum-karate/budo/die-philosophie-des-budo/ abgerufen am 30.10.23